werkschau gunvor nelson

Die Filmemacherin und Künstlerin Gunvor Nelson wurde 1931 in Stockholm geboren, wuchs aber in der Kleinstadt Kristinehamn, Schweden, auf. Nach ihrem Kunststudium in Stockholm zog sie 1953 nach San Francisco, wo sie an der San Francisco State University (1969-70) und am San Francisco Art Institute (1970-1992) Kunst und Film studierte und später lehrte. In den 1960er Jahren drehte Nelson die Filme Schmeerguntz (1966), Fog Pumas (1967) und My Name is Oona (1969) (die beiden erstgenannten mit Dorothy Wiley), die aufgrund ihrer persönlichen, komplexen, innovativen, unverwechselbaren und surrealen Montage, die oft eine feministische und absurde Perspektive einnimmt, als Klassiker in der Geschichte des Experimentalfilms gelten. Wie viele andere Filmemacher:innen und Künstler:innen, die zu dieser Zeit in der San Francisco Bay Area aktiv waren, verkehrte auch Nelson in den Kreisen um die Canyon Cinema Gruppe, mit Persönlichkeiten wie Bruce Baillie, Chick Strand, James Broughton und Robert Nelson.

In den vier Programmen, die Filme umfassen, die zwischen 1966 und 1991 entstanden sind und alle auf 16mm gedreht wurden, wird eine Vielzahl von formalen Ansätzen und Interessengebieten erkundet: von der energiegeladenen Verspieltheit des frühen Werks, das von einer vielfältigen Montage bestimmt wird, die das offenkundig Kritische, Absurde, Komische und sogar Anarchische erkundet, bis hin zur stärker betonten Auseinandersetzung mit Erinnerung, Wiedervereinigung, Familiengeschichte und Alterung in ihren späteren Arbeiten.

Anstatt ihr Schaffen mit Begriffen wie "experimentell", "avantgardistisch" oder "feministisch" zu beschreiben, zieht Nelson "persönlich" als die treffendste Beschreibung ihrer Arbeitsweise vor. Sie hat immer aus einer nahen und privaten Perspektive gefilmt, auf ihre eigene Art und Weise, und oft Dinge und Menschen in ihrer Nähe und der Umgebung, in der sie lebt: sich selbst, in ihrem Haus, ihr Garten, ihre Familie, ihre Freunden, den Fluss vor ihrem Haus in Kristinehamn, in San Francisco, am Muir Beach - und nicht zuletzt sich selbst in Bezug zu ihrer eigenen Malerei.

In Nelsons Filmen wird häufig Animations- mit Filmmaterial in miteinander verknüpften Collagen vermischt, in denen sie auf verschiedene Weise Bilder in parallelen und fließenden Montagen übermalt, bricht, neu ausrichtet und überlagert. Die Filme bewegen sich oft ohne klare Abgrenzung spielerisch und komplex in Zeit und Raum, wobei auf unerwartete Zusammenstöße ein eher dokumentarischer oder narrativer Inhalt folgt. Von zentraler Bedeutung ist auch Nelsons Arbeit mit der Interaktion von Ton (und Stimme) und der Erweiterung des Bildrahmens, um unvorhergesehene Konstellationen zu erreichen. Hier gibt es einen verstärkten Sinn für das Taktile: Mehrschichtigkeit, das Ausdehnen und Zusammenziehen von Bewegung, das Bild als Palimpsest. Sie schreibt:

"Ich möchte, dass meine Bilder eine Art rätselhafte Tiefe haben, eine Aufladung und eine Energie, die mehr vermitteln kann als das, was man bei einem schnellen Blick auf die Oberfläche entdeckt. Die Bilder müssen viele Dimensionen und Bedeutungsebenen jenseits des Offensichtlichen enthalten. Darin sehe ich einen Vorteil: Film besteht aus mehr als einem Bild und setzt sich aus vielen Einzelbildern zusammen, einer Reihe von Bildern, die sich auf spannende und unerwartete Weise verstärken oder miteinander kollidieren können." 1993 zog Nelson zurück nach Kristinehamn, wo sie noch immer als Künstlerin und Videokünstlerin tätig ist.

(Martin Grennberger & Daniel A. Swarthnas)

Mit Dank an Filmform in Stockholm (Anna-Karin Larsson, Andreas Bertman), Light Cone (Miguel Armas) in Paris und Canyon Cinema in San Francisco (Seth Mitter) für die Bereitstellung der 16mm-Kopien.

fr 16/09 16:00 | programm 1: anfänge, körper und surrealismus

Im Einführungsprogramm werden wir mit einem entwaffnenden Striptease in Take Off konfrontiert, mit unvorhergesehenen Absurditäten und Anachronismen in Fog Pumas, mit Lichtschlieren auf schwimmenden Körpern in Moon's Pool, und in der Found-Footage-Montage von Schmeerguntz wechseln sich Schönheitswettbewerbe und Mode mit Schwangerschaft, Windelwechseln, Schmiere, Erbrechen, Sport und Schlägereien ab. Der Kritiker Ernest Callenbach schrieb über Schmeerguntz, benannt nach dem Nonsens-Wort, das Nelsons Vater für “Sandwich” erfand ("smörgås" auf Schwedisch): "Eine Gesellschaft, die ihre tierischen Funktionen unter einer glänzenden öffentlichen Oberfläche verbirgt, verdient es, dass solche Filme wie Schmeerguntz überall gezeigt werden".

(Martin Grennberger & Daniel A. Swarthnas)

Schmeerguntz

R: Gunvor Nelson & Dorothy Wiley, 16mm, s&w, ton, 15 min, 1966

Fog Pumas

R: Gunvor Nelson & Dorothy Wiley, 16mm, s&w, ton, 25 min, 1967

Take Off

R: Gunvor Nelson, 16mm, s&w, ton, 10 min, 1972

Moon’s Pool

R: Gunvor Nelson, 16mm, s&w, ton, 15 min, 1967

Field Study #2

R: Gunvor Nelson, 16mm, farbe, ton, 8 min, 1988

Mit Dank an Filmform für die Bereitstellung der Kopien.

Gunvor Nelson - MOON’S POOL (1967)
Gunvor Nelson - MOON’S POOL (1967)

sa 17/09 11:30 | programm 2: der blick der rückkehrerin

Nelsons Rückkehr nach Schweden brachte eine Art aktualisierte und vielschichtige Begegnung mit einer Vergangenheit mit sich, in der Orte und Denkmäler mit einer veränderten Perspektive erlebt werden. Das Filmen ist hier ein selbstreflexiver Prozess und eine Verkörperung dessen, was sie sieht. Die Dynamik und die produktiven Reibungen zwischen Animation und Live-Action, Ton und Stille erhalten eine größere und entscheidendere Bedeutung als in früheren Filmen.

(Martin Grennberger & Daniel A. Swarthnas)

Frame Line

R: Gunvor Nelson, 16mm, s&w, ton, 22 min, 1988

Light Years Expanding

R: Gunvor Nelson, 16mm, farbe, ton, 25 min, 1987

Natural Features

R: Gunvor Nelson, 16mm, farbe, ton, 28 min, 1990

Mit Dank an Filmform und Light Cone für die Bereitstellung der Kopien.

Gunvor Nelson - LIGHT YEARS EXPANDING (1987)
Gunvor Nelson - LIGHT YEARS EXPANDING (1987)

so 18/09 14:00 | programm 3: der bereich der familie

Die Filme My Name Is Oona, Red Shift und Time Being bilden eine Trilogie, die sich mit unterschiedlichen Optiken, Formen und Zeitlichkeiten mit der fantasievollen und erfinderischen Welt der Kindheit, der Familie, dem Verhältnis von Erinnerung und Gegenwart, der Zerbrechlichkeit des Alterns und dem Ende des Lebens auseinandersetzt.

(Martin Grennberger & Daniel A. Swarthnas)

My Name is Oona

R: Gunvor Nelson, 16mm, s&w, ton, 10 min, 1969

Red Shift

R: Gunvor Nelson, 16mm, s&w, ton, 50 min, 1984

Time Being

R: Gunvor Nelson, 16mm, s&w, ton, 6 min, 1991

Mit Dank an Filmform für die Bereitstellung der Kopien.

Gunvor Nelson - FRAME LINE (1988)
Gunvor Nelson - FRAME LINE (1988)

so 17/09 18:00 | programm 4: muir beach

Zwei Filme über Freunde und das Leben in und um Muir Beach, Kalifornien. Kirsa Nicholina dokumentiert eine Schwangerschaft und Entbindung zu Hause. Five Artists BillBobBillBillBob, zusammen mit Dorothy Wiley gedreht, ist ein persönlicher Film mit einem dokumentarischen Ansatz, der sich um fünf männliche Künstler dreht, aber auch ein Film über den Alltag, die familiären Beziehungen und den Künstlerkreis, dem sie alle angehörten, aus der Sicht von zwei Frauen.

(Martin Grennberger & Daniel A. Swarthnas)

Kirsa Nicholina

R: Gunvor Nelson, 16mm, farbe, ton, 16 min, 1969

Five Artists BillBobBillBillBob

R: Gunvor Nelson & Dorothy Wiley, 16mm, farbe, ton, 70 min, 1971

Mit Dank an Canyon Cinema für die Bereitstellung der Kopien.

Gunvor Nelson - MY NAME IS OONA (1969)
Gunvor Nelson - MY NAME IS OONA (1969)