alternatives filmarchiv belgrad. ein überblick von 1958 bis heute

Auf Einladung des Filmkollektivs Frankfurt gibt das Akademische Filmzentrum in Belgrad erstmals in Deutschland einen Einblick in die Schätze der größten Sammlung von Avantgardefilmen und ihre lange und bewegte Geschichte im ehemaligen Jugoslawien. In Zusammenarbeit mit exf f. präsentiert das von Ivan Velisavljević vorgestellte Programm in drei Blöcken eine Auswahl von 36 Kurzfilmen. Die meisten davon feiern ihre Deutschlandpremiere. Wir freuen uns außerdem besonders, einen der Künstler:innen der jüngeren Generation, Milan Milosavljević, in Frankfurt begrüßen zu dürfen. Seinem Werk ist ein Schwerpunkt gewidmet.

Das Akademische Filmzentrum in Belgrad wurde 1958 im damaligen sozialistischen Jugoslawien unter dem Namen Akademischer Kinoklub (Akademski kino klub) gegründet. Dank der originellen Arbeit seiner zahlreichen Film- und Videokünstler:innen wurde es im Laufe seiner langen Geschichte zu einem der renommiertesten Filmclubs Jugoslawiens. Die jugoslawische Filmclub-Bewegung war eine Begegnungsstätte für Filmamateure. Diese Enthusiasten loteten die Grenzen des Mediums Film aus und definierten bald das Experimental- und Avantgardekino des Landes. 1976 wurde der Akademische Kinoklub zu einer Abteilung des Studentischen Kulturzentrums der Stadt, einer staatlich finanzierten öffentlichen Einrichtung für studentische Kultur, und wurde in Akademisches Filmzentrum (AFC) umbenannt. Bald darauf, in den späten 1970er Jahren, versammelten sich viele Avantgarde-/Experimentalfilmschaffende in Split und beschlossen, ihre Arbeit alternativ statt experimentell oder Amateurfilm zu nennen. Sie lehnten das Etikett des Amateurfilms ab und entwickelten einen eigenen Begriff des alternativen Films. Einer von ihnen erklärte später: "Jeder experimentelle Film ist auch ein alternativer Film, aber nicht jeder alternative Film ist ein experimenteller Film". Ihr Ziel war es, den Begriff sowohl auf unkonventionelle Dokumentarfilme als auch auf Spielfilme auszuweiten, die eine alternative Qualität vorwiesen. Diese blieb allerdings oft subjektiv und ist in ihrer Definition bis heute umstritten. 1982 gründete das AFC das Alternative Filmarchiv, um ihr Film- und Videoerbe zu bewahren. Es beherbergt heute über 800 vom AFC produzierte Filme und Videos sowie über 2000 außerhalb des AFC entstandene Filme. Im selben Jahr rief das AFC das Alternative Film/Video Festival ins Leben. Heute ist es eines der ältesten Festivals auf dem Balkan, das ausschließlich dem experimentellen und alternativen Filmschaffen gewidmet ist. Das AFC ist nach wie vor ein offener Raum für experimentelles Filmemachen aller Art, insbesondere für Studierende und junge Filmemacher:innen. Zusätzlich zu den regelmäßigen Workshops, monatlichen Programmen und Vorführungen veranstaltet das AFC ein Residenzprogramm für internationale Film- und Videokünstler:innen und das Filmfestival Balkanima für europäische Animationsfilme.

In drei Abschnitten bietet das Programm einen Überblick über mehr als 60 Jahre Produktion des AFC von den 1960er Jahren bis heute. Es umfasst einige der besten Filme aus dem Alternativen Filmarchiv und bemerkenswerte Beispiele der zeitgenössischen AFC-Produktion.

( Ivan Velisavljević )


Kuratiert von Ivan Velisavljević (Akademisches Filmzentrum), der in alle Programme einführen wird, und organisiert von Svetlana Svyatskaya (Filmkollektiv Frankfurt e.V.)

mi 04/09 18:00 | pre-opening: alternatives filmarchiv belgrad pt. 1: metaphern & strukturen (screening im dff)

Der Akademische Kinoklub (AKK) in Belgrad wurde in den 1960er Jahren zu einem Treffpunkt für Filmschaffende, die vom avantgardistischen sowjetischen und europäischen Kino, den "Kinästhetik"-Theorien von Slavko Vorkapić und seinem Nachfolger Vladimir Petrić sowie der unkonventionellen Ästhetik und den radikalen Experimenten des in Zagreb organisierten Genre Film Festival (GEFF) beeinflusst waren. Diese Gruppe, die in der Fachliteratur als "Erste Generation” des AKK bezeichnet wird, schuf mehrere bedeutende Werke des jugoslawischen Experimentalfilms und legte den Grundstein für ästhetische Fragen, die bis Ende der 1980er Jahre ausgelotet wurden. Das zentrale Bestreben der führenden Filmemacher:innen des Belgrader Kreises zu Beginn der 1960er Jahre war es, eine Metapher mit spezifischen metaphysischen Aspekten durch rein audiovisuelle und nicht-narrative Mittel zu schaffen. Sie suchten nach der "Essenz des Films", einem Kino, das in der Lage ist, literarische und theatralische Elemente hinter sich zu lassen, nach einem psychodramatischen Kino im Sinne von P. Adams Sitney. Andere wiederum schufen strukturelle Filme, die im damaligen Jugoslawien als Anti-Filme oder "Filme der Fixierung und Reduktion" bezeichnet wurden. Die Filmemacher:innen, die sich Anfang der 1970er Jahre im AKK versammelten (die "Zweite Generation"), setzten einige dieser Erkundungen fort. Sie zeichneten sich jedoch durch verschiedene persönliche Unterschiede aus, ihre Filme waren geprägt von einem Streben nach visueller Poesie, Elementen von Humor, Sozialkritik, Oneirismus sowie popkulturellen Referenzen.

( Ivan Velisavljević )

Ruke ljubičastih daljina (Hands of Purple Distances)

R: Sava Trifković, 16mm zu digital, s&w, ton, 10 min, 1962

Pravac (Straight Line)

R: Tomislav Gotovac, 16mm zu digital, s&w, ton, 7 min, 1964

Kompozicija (Composition)

R: Vjekoslav Nakić, 16mm zu digital, s&w, ohne ton, 6 min, 1970

Putovanje (Journey)

R: Bojana Vujanović, 16mm zu digital, farbe u. s&w, ton, 2 min, 1972

Gavran (Raven)

R: Nikola Đurić, 16mm zu digital, s&w, ton, 6 min, 1973

Iszdah (Exhale)

R: Ivan Obrenov, 16mm zu digital, s&w, ton, 14 min, 1976

Krik (Scream)

R: Ivko Šešić, 16mm zu digital, farbe, ton, 10 min, 1978

Organon ili tražili su od meine (Organon or They Have Asked of Me)

R: Zoran Saveski, super 8 zu digital, farbe, ton, 9 min, 1980

Poslednji tango u Parizu (Last Tango in Paris)

R: Miodrag Milošević, super 8 zu digital, s&w, ton, 5 min, 1983/2012

Pogledaj šta činim zbog tebe (Look What You've Made Me Do)

R: Miloje Radaković, 16mm zu digital, farbe, ton, 4 min, 1986

Sava Trifković - Ruke ljubičastih daljina (Hands of Purple Distances, 1962)
Sava Trifković - Ruke ljubičastih daljina (Hands of Purple Distances, 1962)
Nikola Đurić - Gavran (Raven, 1973)
Nikola Đurić - Gavran (Raven, 1973)
Ivan Obrenov - Iszdah (Exhale, 1976)
Ivan Obrenov - Iszdah (Exhale, 1976)

do 05/09 16:00 | alternatives filmarchiv belgrad pt. 2: farben und politik (screening in der pupille)

Im Verlauf der 1980er Jahre wuchs die Produktion experimenteller Werke durch den AFC erheblich, insbesondere mit der Gründung des Alternative Film/Video Festivals (AFV) und des Alternativen Filmarchivs im Jahr 1982. Bereits 1985 war das AFV eines der ersten Festivals in Europa, das Video und Film gleichberechtigt in das Wettbewerbsprogramm aufnahm. In dieser Zeit wurde der AFC zur wichtigsten regionalen Institution für alternative Kultur, nicht nur im Bereich Film, sondern auch in der Musik, in bildender und Performance-Kunst. Die Zelluloid-Jahre waren noch nicht vorbei, und es wurden weiterhin Super 8- und 16mm-Filme produziert. Gleichzeitig erlebte die Videokunst eine Blütezeit, und die dritte Generation schuf Filme und Videos, die sich mit Medien, Popkultur und politischer Symbolik auseinandersetzten. Manchmal lag der Fokus auf Farben, Formen und Mustern, manchmal auf dem Verfall kommunistischer Symbole oder dem Einfluss des Kapitalismus auf unsere Wahrnehmung. Betrachtet man rückwirkend die internationale Relevanz, die Menge und Qualität der Veranstaltungen, Programme und der angestoßenen ästhetischen Debatten, so erscheinen die 1980er Jahre als das goldene Zeitalter des alternativen Films in Belgrad. Die 1990er Jahre waren hingegen schwierig: Mit dem Zerfall Jugoslawiens, Krieg und sozialem Chaos reduzierte der AFC seine Produktion und sagte 1992 das Alternative Film/Video Festival ab, das erst 2003 wiederbelebt wurde. Die dritte Generation von Videokünstler:innen sah sich mit dem Ende ihrer Karrieren konfrontiert: Entweder verließen sie das Land oder standen die harten Zeiten durch, ohne dass viel Raum für den Film blieb. Einige experimentelle Filme aus dieser Zeit zeugen von dieser Atmosphäre. Die erste Hälfte der 2000er Jahre war geprägt vom Sturz der Regierung von Slobodan Milošević und einem bescheidenen sozialen Optimismus. Dieser und der Einfluss relativ günstiger digitaler Technologie hauchten der alternativen Filmszene Belgrads neues Leben ein.Eine neue Generation von Filmschaffenden schuf ihre Werke Seite an Seite mit den Kinoklub-Veteranen. Ihre Arbeiten reichten von Lo-Fi-Ästhetik und Trash-Kino bis hin zur postmodernen Neuinterpretation formalistischer und struktureller Experimente. Die Produktion wuchs, das AFV-Festival wurde erneuert und 2006 internationalisiert. Der AFC wurde erneut zu einem wichtigen Knotenpunkt in der Region für die Vernetzung von Kurator:innen, Filmschaffenden, Historiker:innen und Archivar:innen des nicht-konventionellen Films. Diese Filmauswahl zeigt repräsentative Beispiele all dieser Tendenzen und Ästhetiken, zwischen Video und digitalem Film, Formalismus und Engagement, darunter eine internationale Erstaufführung der Digitalisierung von Grabljivac (Predator).

( Ivan Velisavljević )

Grabljivac (Predator)

R: Petar Milić, vhs zu digital, farbe, ton, 4 min, 1987

Diabl (Devil)

R: Zorica Kijevčanin, vhs zu digital, farbe, ton, 8 min, 1989

Olimp (Olympus)

R: Smilja Tadić, vhs zu digital, farbe, ton, 8 min, 1989

Kako je propao Miloš M. (The Decay of Miloš M.)

R: Miloš Milošević & Jakša Vlahović, vhs zu digital, farbe, ton, 5 min, 1995

A Trip

R: Olivera Ognjanović Kwaya, vhs zu digital, farbe, ton, 5 min, 1996

soc.com

R: Incredible Bob, digital, s&w, ton, 9 min, 2000

Apsolutna pobeda (Absolute Victory)

R: Igor Toholj, digital, farbe, ton, 4 min, 2000

Koncert za harmoniku i paradajz (Concert for Accordion and Tomato)

R: Dragan Nikolić, digital video, farbe, ton, 2 min, 2000

I’ll Be There

R: Isidora Ilić, digital video, farbe, ton, 8 min, 2003

Moonlight

R: Branko Sujić, digital, farbe, ton, 6 min, 2005

Zid (The Wall)

R: Nemanja Budisavljević, digital, farbe, ton, 6 min, 2006

Zorica Kijevčanin - Diabl (Devil, 1989)
Zorica Kijevčanin - Diabl (Devil, 1989)
Olivera Ognjanović Kwaya - soc.com (1996)
Olivera Ognjanović Kwaya - soc.com (1996)
Nemanja Budisavljević - Zid (The Wall, 2006)
Nemanja Budisavljević - Zid (The Wall, 2006)

fr 06/09 17:00 | alternatives filmarchiv belgrad pt. 3: lokale bilder, globale ströme / artist in focus: milan milosavljević (screening in der pupille)

Im 21. Jahrhundert wuchs die Sammlung des Alternativen Filmarchivs auf über 600 vom AFC produzierte Filme und Videos sowie eine große Anzahl von Avantgardefilmen und Videos anderer Filmemacher:innen an. Zu den Hauptaktivitäten des AFC gehören Filmworkshops, Vorträge, zwei Festivals und die Filmproduktion. Der AFC stellt kostenlose Ausrüstung für Student:innen und junge Filmemacher:innen zur Verfügung, bietet organisatorische Unterstützung bei der Beschaffung von Fördermitteln für ihre Filme und produziert Dokumentar-, Spiel-, Experimental- und Animationsfilme, die es auf renommierte Filmfestivals in aller Welt schaffen, von der Berlinale bis zu Hot Docs. Einer dieser Filme wurde auch für die Oscars nominiert und erhielt weltweit mehr als 50 Auszeichnungen. In den 2010er Jahren kamen Filmemacher:innen aus dem Ausland im Rahmen des Residenzprogramms des Alternative Film/Video Festivals zum AFC und drehten Filme in Belgrad, wodurch sie zur sogenannten "Vierten" oder "Globalen Generation" von AFC-Filmemacher:innen wurden. Das AFC öffnete sich noch stärker der internationalen Szene und erzielte dort große Erfolge. Die Filmauswahl kombiniert aktuelle Filme junger, aufstrebender Künstler:innen mit preisgekrönten Werken erfahrener Filmschaffender. Sie umfasst lokale Filme aus der Region ebenso wie Werke aus Österreich, Brasilien, Kanada, Iran, den USA und anderen Ländern. Im Fokus steht das Werk von Milan Milosavljević, der als Leiter des AFC die treibende Kraft hinter den meisten Aktivitäten des AFC ist und sich als Pädagoge, Produzent und Förderer des experimentellen Films und der Animation betätigt. Als Filmschaffender schuf er kurze Dokumentar-, Spiel-, Animations- und Experimentalfilme. In seinen avantgardistischen Werken betont Milan oft die Natur, und wenn er Found-Footage verwendet, fügt er über den Sound geheimnisvolle Horror-Elemente hinzu. Die Filmauswahl zeigt seine neueren experimentellen Arbeiten. Im Anschluss wird es ein Filmgespräch mit Milan Milosavljević geben.

( Ivan Velisavljević )

Yugoslavian Home Movies

R: Salise Hughes, 8mm/16mm/fotos zu digital, farbe, ton, 12 min, 2014

Molim vas, izletite iz moje glave (Please, Fly Out Of My Head)

R: Nevena Andrejić, digital, farbe, ton, 2,5 min, 2024

Heterotopia

R: Nikola Nikolić, digital, farbe, ton, 7 min, 2024

Tron

R: Katarina Bugarin, digital, farbe, ton, 2,5 min, 2023

Wechselstrom (Alternating Current)

R: Nina Kreuzinger, digital, farbe, ton, 13 min, 2015

Leopard Man Study

R: Duo Strangloscope, digital, farbe, ton, 8 min, 2017

Dreamland

R: Allan Brown, digital, farbe, ton, 13 min, 2018

Sjutra (Tomorrow)

R: Marko Dabović, digital, farbe, ton, 4 min, 2023

Prijelaz (Crossing)

R: Vedran Šuvar, digital, farbe, ton, 9,5 min, 2018

Surfacing Images

R: Tara Najd Ahmadi, 16mm zu digital, farbe, ton 5 min, 2023

dog, moonriver and baudelaire

R: Marija Kovačina, 8mm zu digital, farbe, ton, 4 min, 2018

Prizori tajanstvenog simpozijuma

R: Milan Milosavljević, 8mm zu digital, s&w, ton, 5,5 min, 2020

Tišina (Silence)

R: Milan Milosavljević, digital, s&w u. farbe, ton, 3 min, 2023

Sećanje u kamenu

R: Milan Milosavljević, digital, farbe, ton, 4 min, 2021

Maska

R: Milan Milosavljević, digital, farbe, ton, 3 min, 2014

Ouroboros

R: Milan Milosavljević, 8mm zu digital, farbe, ton, 4 min, 2018

Salise Hughes - Yugoslavian Home Movies (2014)
Salise Hughes - Yugoslavian Home Movies (2014)
Vedran Šuvar - Prijelaz (Crossing, 2018)
Vedran Šuvar - Prijelaz (Crossing, 2018)
Milan Milosavljević - Ouroboros (2018)
Milan Milosavljević - Ouroboros (2018)