collecting images: peter hutton & mark lapore

Peter Hutton (1944–2016) und Mark LaPore (1952–2005) sind untypische Figuren in der Geschichte des US-amerikanischen Experimentalfilms. Anstatt sich mit der Herausforderung und Erweiterung der Wahrnehmungsgrenzen auf Basis grundlegender Untersuchungen des Mediums zu befassen, knüpfen sie mit ihrer Praxis an frühere Zeiten an, nämlich an die Geschichte der Malerei – Landschaften und Porträts, Reisefilme, lyrische Dokumentarfilme aus den 1930er Jahren und an die Anfänge des Kinos – Bewegungsstudien und schnörkellose Single-Shot-Dokumentationen alltäglicher Ereignisse.Sowohl Hutton als auch LaPore waren Reisende. Während Hutton viele seiner Filme in Island, China, Thailand, Bangladesch, Irland, Korea, Ungarn und Polen drehte, sammelte LaPore Bildmaterial in Indien, Sri Lanka, China, im Sudan sowie im Goldenen Dreieck an der Grenze zwischen Thailand und Burma. In diesen, für die Filmemacher, fernen Gegenden werden Landschaften, Gesichter, Städte und Wasserwege mit begeisterter Aufmerksamkeit für das ursprünglichste Anliegen der Kinematografie festgehalten – die Kadrage. In Towards a Minor Cinema (1990) identifizierte Tom Gunning LaPore als Schlüsselfigur einer neuen lebendigen Energie im amerikanischen Experimentalfilm und stellte zugleich eine Nähe zu Hutton hinsichtlich der Bescheidenheit ihrer ästhetischen Strategien fest – Selbstzurücknahme durch ungeschnittene Einstellungen und die Vorliebe für feste Bildausschnitte –, die eine tiefere Teilhabe an dem eingefangenen Geschehen ermöglicht. Hutton beschrieb seine Praxis oft als das Sammeln von Bildern, was auch wie eine treffende Allegorie für LaPores Arbeitsweise anmutet. Beide bevorzugen einen Blick, der Erfahrungen belohnt, nicht durch Informationen, sondern durch die poetische Enthüllung verborgener magischer Momente in den Konturen des Allgegenwärtigen. Die Montage wird nicht für Suggestion oder für die Herstellung von Bedeutsamkeit eingesetzt, vielmehr sind die Filme Dokumentationen der Welt, ohne Dokumentarfilme zu sein, das heißt, sie lassen keine mimetische Absicht erkennen. Die nicht-formalistische Bescheidenheit dieser Filme kann fast täuschen, da die Sinnlichkeit der Bilder die komplexen Überlegungen ihrer Macher zu verbergen droht, zweifellos auf ästhetischer Ebene, aber auch auf der Ebene ihrer Beschäftigung mit Umwelt, Klima, Arbeit, Kapitalismus und dem Schicksal der postkolonialen Welt. Die beiden Filmemacher unterscheiden sich aber auch in vielerlei Hinsicht. LaPores Praxis lässt sich am besten als kritische Ethnografie beschreiben, die sich direkt mit den Rhythmen und Bewegungen in postkolonialen Räumen befasst und dabei ständig den eigenen Blick hinterfragt. In seinen Filmen sind diese Räume ein Spiegel der Vergangenheit der Ersten Welt. LaPore ist in den Realitäten der Orte, die er filmt, verankert und lehnt es ab, Schönheit und Zeitlosigkeit auf Kosten individueller Handlungsfreiheit zu inszenieren. Hutton hingegen war eher ein Romantiker, seine tonalistischen und luministischen Sensibilitäten sind direkt von Malern der Hudson River School wie Thomas Cole geprägt. Huttons Panoramen sind weitgehend menschenleer, die Musikalität seiner herrlichen Meereslandschaften entfaltet sich in Stille, obwohl er sich der Beziehung des Meeres zur Geschichte der Migration, der Sklaverei und des Kapitalismus sehr bewusst ist. LaPore interessiert sich für das Körperliche, die Filme sind akustisch dicht, das Meer ist nur aus einem nicht-diegetischen Raum in der ersten Einstellung von A Depression in the Bay of Bengal zu hören oder wird in einer Radiosendung im Sudan erwähnt, wo Nachrichten aus einer fernen Region in einen Raum durchdringen, in dem Geflüchtete auf dem Seeweg transportiert werden (The Sleepers). In LaPores Fall ist das Radio entscheidend für die Herstellung einer zeitlichen Verortung, während Hutton sich bemühte, seine Bilder von jeglicher starken Bedeutung zu befreien.

( Arindam Sen, Daniel A. Swarthnas )

do 04/09 18:00 | collecting images: peter hutton & mark lapore pt. 1 (screening in der pupille)

1985 begann Hutton, Filmproduktion am Bard College zu unterrichten. In dieser Phase ließ er sich von den Maler*innen der Hudson River School und ihren Motiven aus dem 19. Jahrhundert inspirieren. Landscape (For Manon) und In Titan’s Goblet entstanden in dieser Zeit als Hommage an diese Tradition, wobei letzterer auf das gleichnamige Gemälde von Thomas Cole aus dem Jahr 1833 anspielt. Die Filme veranschaulichen die sinnliche Leuchtkraft der naturbelassenen Region, ihre Ruhe und ihre sanften tonalen Qualitäten. Nach fast drei Jahrzehnten, in denen Hutton mit verschiedenen Schwarz-Weiß-Umkehrfilmen gearbeitet hatte, begann er in Time and Tide mit Farb- und Schwarz-Weiß-Negativfilmen zu drehen. Der Film, der am Hudson River zwischen Bayonne, New Jersey, und Albany, New York, gedreht wurde, bietet eine aquatische Perspektive auf die angrenzende Landschaft. Looking at the Sea wurde an der Westküste Irlands gedreht, wobei viele der Aufnahmen an verschiedenen Klippen gemacht wurden. In Farbe und Schwarz-Weiß gehalten, ist der Film eine Studie der verschiedenen Farbtöne des natürlichen Lichts, des Rhythmus der brechenden Wellen sowie der An- und Abwesenheit von Horizontlinien.

( Arindam Sen, Daniel A. Swarthnas )

Kuratiert und eingeführt von Arindam Sen und Daniel Swarthnas. Mit Dank an Canyon Cinema für die Bereitstellung der Kopien.Filmstills mit freundlicher Genehmigung des Künstlers und der Canyon Cinema Foundation.

Landscape (For Manon)

R: Peter Hutton, 16mm, s&w, ohne ton, 12 min, 1987

In Titan's Goblet

R: Peter Hutton, 16mm, s&w, ohne ton, 10 min, 1991

Time and Tide

R: Peter Hutton, 16mm, farbe, ohne ton, 35 min, 2000

Looking at the Sea

R: Peter Hutton, 16mm, s&w, ohne ton, 15 min, 2001

Peter Hutton - Landscape (For Manon) (1987)
Peter Hutton - Landscape (For Manon) (1987)
Peter Hutton - "In Titan's Goblet" (1991)
Peter Hutton - "In Titan's Goblet" (1991)
Peter Hutton - Time and Tide (2000)
Peter Hutton - Time and Tide (2000)
Peter Hutton- Looking at the Sea (2001)
Peter Hutton- Looking at the Sea (2001)

fr 05/09 12:00 | collecting images: peter hutton & mark lapore pt. 2 (screening in der pupille)

Florence ist eine behutsame Studie zu Licht und Schatten, Texturen und Flächen. Wie viele Filme von Hutton ist auch dieser geprägt von einer Wechselwirkung aus Verhüllung und Enthüllung des Himmels durch die Bewegung von Wolken, Spiegelungen und Nebel sowie einer Aufmerksamkeit für das Verhalten von Licht, wenn es durch Öffnungen fällt oder über Objekte streift. In der New York Portraits Trilogie wird die Stadt in ruhigen Schwarz-Weiß-Tableaus eingefangen. Indem er seine Kamera sowohl auf die Skyline der Stadt als auch auf die Straßen, Details und die sich verändernde Stadtlandschaft richtet, macht Hutton die sozialen und wirtschaftlichen Ungleichheiten sichtbar, die mit Machtstrukturen verknüpft sind. Mit seinem geschärften Blick gelingt es ihm, den visuellen Rhythmus der Stadt zu erfassen, uns manchmal sogar eine der meistfotografierten Städte der Welt fremd erscheinen zu lassen – und zugleich die eklatanten Unterschiede ihrer verschiedenen Realitäten zu kommentieren. Die Bilder von Łódź Symphony sind konkret und direkt. Das alltägliche Straßenleben in der polnischen Stadt Łódź wird hier nicht als Symphonie im klassischen Sinne dargestellt, mit rhythmischem Schnitt und Musikbegleitung, sondern in langen statischen Aufnahmen und stummen Bildern, die sich wie eine Symphonie in drei Sätzen entfalten. Mit der Darstellung von Räumen, Körpern und Gesichtern im postkommunistischen Polen fängt Hutton eine Gesellschaft im Wandel ein, die sowohl von historischen Traumata als auch von neuen sozialen Spaltungen geprägt ist; verfallene Gebäude, Fabrikruinen und Porträts von marginalisierten Menschen zeugen weiter davon.

( Arindam Sen, Daniel A. Swarthnas )

Kuratiert und eingeführt von Arindam Sen und Daniel Swarthnas. Mit Dank an Canyon Cinema für die Bereitstellung der Kopien.Filmstills mit freundlicher Genehmigung des Künstlers und der Canyon Cinema Foundation.

Florence

R: Peter Hutton, 16mm, s&w, ohne ton, 7 min, 1975

New York Portrait, Chapter I

R: Peter Hutton, 16mm, s&w, ohne ton, 16 min, 1979

New York Portrait, Chapter II

R: Peter Hutton, 16mm, s&w, ohne ton, 16 min, 1981

New York Portrait, Chapter III

R: Peter Hutton, 16mm, s&w, ohne ton, 15 min, 1990

Lodz Symphony

R: Peter Hutton, 16mm, s&w, ohne ton, 20 min, 1993

Peter Hutton – New York Portrait, Chapter I (1979)
Peter Hutton – New York Portrait, Chapter I (1979)
Peter Hutton – New York Portrait, Chapter I (1979)
Peter Hutton – New York Portrait, Chapter I (1979)
Peter Hutton – New York Portrait, Chapter I (1979)
Peter Hutton – New York Portrait, Chapter I (1979)
Peter Hutton – New York Portrait, Chapter II (1981)
Peter Hutton – New York Portrait, Chapter II (1981)

sa 06/09 14:00 | collecting images: peter hutton & mark lapore pt. 3 (screening im dff)

In diesen drei Filmen beschäftigt sich LaPore mit den ethischen, moralischen und politischen Parametern der Ethnografie, sowohl als Erkenntnistheorie als auch als etwas, das tief in Projekten des Kolonialismus verwurzelt ist. Anstatt einen invasiven Ansatz zu verfolgen, entscheidet sich LaPore für die Beobachtung, weder mit kalter Objektivität noch mit einem unkritischen Blick auf der Suche nach dem Exotischen, sondern über das Ausloten einer angemessenen Distanz, wobei er seinen Platz in den fernen Ländern Nordafrikas und Südasiens stets neu aushandelt. The Sleepers – der letzte Film seiner Sudan-Trilogie – ist eine Reflexion über die Entstehung und Auflösung kultureller Stereotype, über Widersprüche und Überlagerungen in Zeit und Raum. A Depression in the Bay of Bengal ist ein verdichtetes Porträt der Inselnation Sri Lanka und der Erfahrung eines Außenstehenden – des Filmemachers selbst – in dem angespannten Klima eines tobenden Bürgerkriegs, in dem die Nachrichten über Gewalt nur einen Radiosender entfernt sind. The Five Bad Elements ist, wie LaPore selbst sagt, „eine filmische Büchse der Pandora, gefüllt mit meiner eigenen Version von ‚Unheil‘ (Tod, Verlust, kultureller Imperialismus)“.

( Arindam Sen, Daniel A. Swarthnas )

Kuratiert und eingeführt von Arindam Sen und Daniel Swarthnas. Mit Dank an Canyon Cinema für die Bereitstellung der Kopien.Filmstills mit freundlicher Genehmigung des Künstlers und der Canyon Cinema Foundation.

The Sleepers

R: Mark LaPore, 16mm, farbe, ton, 16 min 1989

A Depression in the Bay of Bengal

R: Mark LaPore, 16mm, farbe, ton, 28 min, 1996

The Five Bad Elements

R: Mark LaPore, 16mm, s&w, ton, 32 min, 1998

Mark LaPore – A Depression in the Bay of Bengal (1996)
Mark LaPore – A Depression in the Bay of Bengal (1996)
Mark LaPore – The Five Bad Elements (1998)
Mark LaPore – The Five Bad Elements (1998)
Mark LaPore – The Five Bad Elements (1998)
Mark LaPore – The Five Bad Elements (1998)

so 07/09 16:00 | collecting images: peter hutton & mark lapore pt. 4 (screening in der pupille)

Two Rivers ist ein Doppelporträt des Hudson- und des Jangtse-Flusses in Blau und Sepia. Der Hudson wurde über Jahrzehnte hinweg von General Electric verunreinigt, während der Bau eines Staudamms am Jangtse auf Widerstand von Umweltaktivist*innen stieß. Hutton nimmt die überlieferten Reiseberichte von Henry Hudson und dessen Piloten Robert Juet sowie sein eigenes Interesse am Hudson River als Ausgangspunkt für den Film – und erweitert diesen auf China, indem er sich eine Fortsetzung von Henrys Suche nach einer nördlichen Handelsroute in dieses Land vorstellt. In Skagafjördur, gedreht in Island, werden Berge und Meereslandschaften von Dampfschwaden und Sonnenstrahlen, die dramatisch durch die Wolken brechen, umschmeichelt. Die Bilder sind überwältigend und wirken wie Postkartenmotive, aber Hutton gleicht diesen vordergründigen Ausdruck von Schönheit durch seine charakteristische Artikulation der Spannungen zwischen Stillstand und Bewegung innerhalb des Bildausschnitts und durch die sorgfältige Kontrolle der Farbpaletten aus.

( Arindam Sen, Daniel A. Swarthnas )

Kuratiert und eingeführt von Arindam Sen und Daniel Swarthnas. Mit Dank an Canyon Cinema für die Bereitstellung der Kopien.Filmstills mit freundlicher Genehmigung des Künstlers und der Canyon Cinema Foundation.

Two Rivers

R: Peter Hutton, 16mm, farbe, ohne ton, 47 min, 2003

Skagafjörður

R: Peter Hutton, 16mm, farbe, ohne ton, 33 min, 2004

Peter Hutton - Skagafjörður (2004)
Peter Hutton - Skagafjörður (2004)
Peter Hutton - Skagafjörður (2004)
Peter Hutton - Skagafjörður (2004)

so 07/09 18:30 | collecting images: peter hutton & mark lapore pt. 5 (screening in der pupille)

The Glass System wurde in Kalkutta, Indien, und teilweise in New Yorks Chinatown gedreht. Aufnahmen von Schaufensterpuppen, ein Porträt zweier Schulmädchen, ein junges Mädchen, das auf einem Seil balanciert, eine mechanisch betriebene Zuckerrohrpresse und eine per Fahrrad angetriebene Messerschleifmaschine sind einige der Straßenszenen, die den Film prägen. Der Ton verdichtet den Eindruck der Bilder; ein plötzlicher Schnitt nach New York fungiert als Elegie auf eine verlorene Zeit und auf einen imaginären Ort. Kolkata wurde vollständig im nördlichen und zentralen Teil der östlichen Metropole gedreht. Der Ton ist hier schrill – Gebete, Andachtslieder, Lautsprecher und Umgebungsgeräusche. Schaufensterpuppen, Porträts, Märkte und Seiltänzer tauchen wieder auf, es ist Regenzeit und die Straßen sind voller Pfützen. Aber das Geschäft läuft wie gewohnt weiter, und Kolkata beschäftigt sich mit den Abläufen des kleinen Kapitals innerhalb der globalen Wirtschaft. LaPores Blick ist immer neugierig und herumschweifend, seine Bilder fragmentieren die gefilmten Körper. Die Hälfte des Filmmaterials wurde aus einem leeren Fahrradanhänger gedreht, wobei die Menschen nur bis zur Taille zu sehen sind. Der Ton in Kolkata stammt von Jonathan Schwartz (1973–2018), einem damals jungen Filmemacher, der mit LaPore reiste und seinen ersten Film, Den of Tigers, drehte. Dieser Film, der fast an denselben Orten und zeitgleich mit LaPores Kolkata gedreht wurde, bietet einen Einblick in das Alltagsleben in Westbengalen, Indien. Mit einem tiefgründigen beobachtenden Blick fängt der Film seine Momente ein: Menschen, die mit hochgezogenen Kleidern schlammige Straßen überqueren, eine ältere Frau, die Wasser aus einem Rohrbrunnen pumpt und der hypnotische Hüftschwung einer jungen Seiltänzerin – ihre Haltung spiegelt die Spannung des Seils unter ihren Füßen wider.

( Arindam Sen, Daniel A. Swarthnas )

Kuratiert und eingeführt von Arindam Sen und Daniel Swarthnas. Mit Dank an Canyon Cinema für die Bereitstellung der Kopien. Filmstills mit freundlicher Genehmigung der Künstler und der Canyon Cinema Foundation.

The Glass System

R: Mark LaPore, 16mm, farbe, ton, 20 min, 2000

Kolkata

R: Mark LaPore, 16mm, s&w, ton, 35 min, 2005

Den of Tigers

R: Jonathan Schwarz, 16mm, farbe, ton, 19 min, 2002

Mark LaPore – The Glass System (2000)
Mark LaPore – The Glass System (2000)
Mark LaPore – The Glass System (2000)
Mark LaPore – The Glass System (2000)
Mark LaPore filming Kolkata (2005)
Mark LaPore filming Kolkata (2005)
Jonathan Schwartz – Den of Tigers (2002)
Jonathan Schwartz – Den of Tigers (2002)