certaines observations. rose lowder
Ich hatte eine Reihe von Experimentalfilmen gesehen, und es machte keinen Sinn, das zu tun, was andere bereits getan hatten, denn sie hatten es sehr gut gemacht.“ Auf die Frage nach den Anfängen ihres filmischen Schaffens antwortet Rose Lowder ganz klar. Für sie ist der Film – sowohl in seinen Aufzeichnungs- als auch in seinen Vorführmechanismen – das Mittel, um eine sensorische und wahrnehmungsbezogene Terra incognita zu erforschen.
Lowder wurde 1941 in Lima geboren und studierte zunächst in Peru und anschließend in London, wohin sie 1960 zog, Bildende Kunst. Während ihres Studiums an der Chelsea School of Art begann sie als Redakteurin für verschiedene Film- und Fernsehproduktionsfirmen zu arbeiten, die in der sogenannten „Film Row“, der Wardour Street, ansässig waren. In den 1970er Jahren, mit ihrem Umzug nach Avignon, löst sie sich von den Zwängen der Branche und widmet sich dem Experimentalfilm. Sie beginnt, Filmvorführungen zu organisieren und ab 1977 auch eigene Werke zu schaffen. Als Autodidaktin in der 16-mm-Fotografie entwickelt sie eine Vorliebe für Bolex-Kameras, die bis heute ihre bevorzugten Instrumente sind. Die Beobachtung visueller Phänomene in verschiedenen Umgebungen (dort, wo die offensichtliche Präsenz natürlicher Elemente mehr oder weniger diskret „kulturelle“ Spuren hinterlässt), ist der Beginn einer Reihe von optischen Abenteuern. Diese finden 1987 auch ihren Niederschlag in einem akademischen Rahmen: Lowders Doktorarbeit (betreut vom Filmemacher und Ethnographen Jean Rouch) trägt den Titel Experimental Film as a Tool for Visual Research (Experimentalfilm als Werkzeug für visuelle Forschung).
Das Licht und die Farben, die von der Filmemulsion aufgenommen werden (Lowder verlässt sich nie auf einen Belichtungsmesser), sowie die durch das Objektiv erzeugte Schärfe und Unschärfe sind Teil ihrer künstlerischen Werkzeuge (siehe Roulement, rouerie, aubage, 1978, oder Retour d’un repère, 1979), denen sie noch ein weiteres persönliches Element hinzufügt. In den 1990er Jahren perfektionierte Lowder so mit ihrer Bouquets-Serie eine spezielle Technik: Diese stummen Filme, die Bild für Bild in nicht-chronologischer Reihenfolge aufgenommen, aber nach einem sorgfältig vorbereiteten Schema (ähnlich einer Partitur) miteinander verwoben wurden, sind 1 Minute (1440 Bilder) lang. Jedes Bouquet ist ein Konzentrat visueller Explosionen. Rose Lowder, eine tiefschürfende Erforscherin des photochemischen Films, erscheint mit dieser Serie als Erfinderin einer neuen Art von Pyrotechnik, die nie zuvor auf der Kinoleinwand zu sehen war.
( Enrico Camporesi )
sa 06/09 12:00 | certaines observations. rose lowder pt. 1 (screening im dff)
Es braucht nicht viel, damit alles anders erscheint.
Unser erstes Programm dient als Überblick und bietet einen Einblick in die verschiedenen Zeitachsen und filmischen Formen, die Rose Lowders fast vier Jahrzehnte währende Filmkarriere ausmachen. Das Programm beginnt mit ihrem allerersten Werk, Roulement, rouerie, aubage, das drei Kurzfilme zu einem einzigen vereint. Hier zeigt sich bereits eines der Hauptmerkmale ihres gesamten Schaffens: Der Film ist komplett in der Kamera gestaltet und basiert auf einer Reihe von Beziehungen, die zwischen zwei operativen Mechanismen hergestellt werden: einer Auswahl von Motiven eines Wasserrades an der Sorgue, und bestimmten visuellen Merkmalen, die durch die zur Aufnahme der Bilder gewählten Filmverfahren (immer bei Tageslicht gefilmt, unter Benutzung von Filmmaterial unterschiedlicher Lichtempfindlichkeit) hervorgehoben werden.
Diese Vorliebe für eine sowohl rigorose als auch spielerische Erforschung und Nutzung des kinematografischen Apparats ist das tiefgreifende Bindeglied und die treibende Kraft hinter allen Filmen von Lowder und belebt ihre visuellen Studien. In Parcelle erzeugt das Erscheinen und Verschwinden winziger farbiger Quadrate und Kreise einen eigenen Rhythmus. Die vielfältigen Möglichkeiten, die sich durch die in der Kamera montierten Einzelbildaufnahmen für die Wahrnehmung des Zuschauers eröffnen, veranschaulichen Voiliers et coquelicots und die fortlaufende Reihe der Bouquets. Diese einzelnen Teile der Serie sind aus Bildern zusammengesetzt, die jeweils am selben Ort zu verschiedenen Zeiten aufgenommen wurden. Durch die rasend schnelle Schnittfrequenz, verbunden mit erstaunlichen Mehrfachbelichtungen, entstehen kleine Meisterwerke, in denen Blumenwiesen, Landschaften, Tiere und Menschen zu komplexen Kompositionen zusammengesetzt werden. Beijing 1988 führt zum letzten Zweig von Lowders filmischem Schaffen: das filmische Tagebuch bzw. den Reisefilm, der ein Land im Wandel einfängt.
In Anwesenheit von Rose Lowder. In Kooperation mit Instituto Cervantes Frankfurt. Bildmaterial © All rights reserved by the artist / Courtesy of Light Cone.
Roulement, rouerie, aubage
R: Rose Lowder, 16mm, s&w u. farbe, ohne ton, 15 min, 1978
Parcelle
R: Rose Lowder, 16mm, farbe, ohne ton, 3 min, 1979
Bouquets 1-10
R: Rose Lowder, 16mm, farbe, ohne ton, 11 min, 1994-1995
Voiliers et coquelicots
R: Rose Lowder, 16mm, farbe, ohne ton, 2 min, 2001
Beijing 1988
R: Rose Lowder, 16mm, farbe, ohne ton, 12 min, 1988-2011
Bouquets 31-40
R: Rose Lowder, 16mm, farbe, ohne ton, 10 min, 2014-2022
so 07/09 21:00 | certaines observations. rose lowder & nicole remy pt.2 (screening in der pupille)
Das zweite Programm beginnt mit zwei selten gezeigten Doppelprojektionen, die auf Lowders Erkunden der Parameter der filmischen Bildgestaltungen aufbauen und diese unter anderen Modalitäten fortführen. Certaines observations, dessen Titel auf die mathematischen Prinzipien von Newtons Naturphilosophie verweist, in der „bestimmte Beobachtungen” dazu dienen, Darstellungen des Aussehens von realen oder scheinbaren bewegten Dingen zu definieren, ist für zwei Projektoren und eine Leinwand konzipiert: zwei Filmrollen, eine in Schwarz-Weiß (positiv), die andere in Weiß-Schwarz (negativ), die vom selben Original stammen, werden übereinander projiziert. Wenn die beiden Projektoren nicht synchronisiert sind (was in der Regel der Fall ist), können die Vorführer:innen von Zeit zu Zeit einen der Projektoren für einige Augenblicke anhalten, um zu versuchen, die beiden Bilder zu synchronisieren. Die Vorführer:innen können auch, wenn sie möchten, die beiden Bilder für einen kurzen Moment anhalten und dann wieder synchronisieren. In Retour d'un repère wird der Mechanismus der Einzelbildaufnahme in Bezug zum gefilmten Raum gesetzt: Lowder nutzt in dieser Arbeit den Rhythmus eines Pantuns, einer aus der literarischen Rhetorik entlehnten Versform, um Aufnahmen eines Baums im Garten des Rocher des Doms zu strukturieren. Meistens als traditionelle Einzelprojektion gezeigt, werden in der Doppelprojektion zwei Filmkopien mit unterschiedlichen Farbtönen miteinander kombiniert. Die beiden Kopien werden gleichzeitig und übereinander projiziert. Dieser Effekt des kombinieren und addieren antizipiert eine von Lowders wichtigsten und in den 80er Jahren intensiv diskutiertesten Arbeiten, Retour d'un repère composé (1981).
Im Anschluss freuen wir uns besonders, dass die peruanische Filmemacherin Nicole Remy ihr Werk in einen Dialog Lowders Arbeiten stellen wird. Remy wurde in Lima geboren und lebt seit 2021 in Madrid, wo sie das Master-Programm LAV absolviert hat. Ihre Arbeit konzentriert sich auf ein strukturelles Kino, das sich mit den Grenzen und damit auch den Möglichkeiten der Filmkamera und des Filmträgers auseinandersetzt. Neben Con cierta luz, einer 16-mm-Doppelprojektion, wird Nicole zum ersten Mal Constant, copresent aufführen, eine neue Super-8-Doppelprojektion.
Con cierta luz blick auf verschiedene Prozesse der Aufnahme von Licht mit Lochkameras, begleitet von Tonaufnahmen mit einem Kassettenrekorder während meines Aufenthalts im Nanolab (Daylesford, Australien). Die Arbeit bewegt sich zwischen Innen und Außen, zwischen Vorwärts- und Zurückgehen. Der Film handelt von dem Raum, den ich bewohne, den ich durchwandere und aufzeichne. Constant, copresent ist Teil einer fortlaufenden Arbeit, in der ich mich verschiedenen Bäumen an verschiedenen Orten – von Madrid bis zum Regenwald von Tambopata – nähere und dabei erforsche, wie ich ihre Stille, ihr Volumen und ihre Präsenz aufzeichnen und einfangen kann. Diese Choreografien, die im Laufe des letzten Jahres auf Super-8-Film gedreht wurden, sind ein Versuch, das, was tatsächlich konstant und präsent ist, zu übersetzen und durch Bewegung zu verkörpern. (N.R.)
In Anwesenheit von Rose Lowder und Nicole Remy. In Kooperation mit Instituto Cervantes Frankfurt. Bildmaterial © All rights reserved by the artist / Courtesy of Light Cone.
Certaines observations
R: Rose Lowder, 2x16mm, s&w, ohne ton, 14 min, 1979
Retour d’un repère (double projection version)
R: Rose Lowder, 2x16mm, farbe, ohne ton, 19 min, 1979
Constant, copresent
R: Nicole Remy, 2xsuper 8, s&w, ohne ton, 3,5 min, 2024-2025
Con cierta luz
R: Nicole Remy, 2x16mm, farbe, ton, 22 min, 2024