a solemn pause – die filme von gregory j. markopoulos

Gregrory J. Markopoulos, als Sohn griechischer Migranten in Toledo (Ohio) geboren und aufgewachsen, gilt als einer der eigenwilligsten und prägendsten Figuren des Avantgarde- und Experimentalfilms der Nachkriegszeit. Nachdem er mit nur zwölf Jahren seine ersten Super 8 Filme drehte, studierte er ab 1940 an der USC u.a. bei Joseph von Sternberg und beobachtete Dreharbeiten von Fritz Lang und Alfred Hitchcock. Ab den frühen 1960ern zog es ihn nach New York, wo er die New American Cinema-Bewegung nicht nur als originärer Filmemacher, sondern auch als Schreibender entscheidend mitbegründete, mit der er allerdings, zum Ende des Jahrzehnts, ob der aufkeimenden Kommerzialisierung und zugunsten einer kompromisslosen, auf unbedingte Unabhängigkeit zielenden filmkünstlerischen Arbeit, radikal brach. 1967 zog er gemeinsam mit seinem Partner Robert Beavers nach Europa, um sich vollständig der Realisierung seiner Vision des Filmemachens widmen zu können – wenn auch unter finanziell prekären Bedingungen. Er entzog alle seine Filme den damals etablierten Distributionswegen und verzichtete weitestgehend auf Vorführungen, weshalb seine Werke bis zu seinem Tod 1992 kaum öffentlich aufgeführt wurden. Seine frühen Filme sind von einer eklektischen und idiosynkratischen Auseinandersetzung mit antiken und modernen Stoffen verschiedenster Künste und einer komplexen, symbolisch aufgeladenen Formsprache von Farbe, Rhythmik und Ton getragen. Eine thematische Kontinuität vieler dieser Filme ist dabei eine sich aufdrängende, gleichermaßen konfliktive und kreative, homoerotische Sexualität, die zum Quell kunsttreibender Energien wird. Ab den späten 1960er Jahren entwickelte Markopoulos eine puristische, vom Einzelbild ausgehende Idee des „Film als Film“, die sich radikal auf die wesentlichen Parameter des Mediums konzentrieren sollte. Gestalt findet dieses Konzept in dem über 80-stündigen, in der Filmgeschichte beispiellosen Werk ENIAIOS, das Material früherer Arbeiten (deren Ausgangsmaterial er im Zuge des Schnitts vernichtete) sowie neu gedrehter Filme kombiniert. Als Aufführungsort dieses Werkes entwickelte Markopoulos zur selben Zeit die Idee des Temenos, eines Archivs und Aufführungsortes, der die Begegnung mit seinem Werk ermöglichen sollte. Nach seinem Tod führte Robert Beavers diese Idee fort und gründete ein selbstverwaltetes Archiv in der Schweiz. Die Vision einer eigenen Spielstätte wurde in einem kleinen griechischen Dorf in Arkadien aufgegriffen, wo Beavers und Markopoulos bereits in den 1980ern in regelmäßigen Abständen ihre eigenen Werke unter freiem Himmel präsentiert haben: Seit 2004 sind hier alle vier Jahre einzelne Zyklen von ENIAIOS zu sehen, dessen gleichzeitige Restaurierung und Fertigstellung (Markopoulos hinterließ lediglich eine fragile Arbeitskopie des Films) Robert Beavers bis heute gemeinsam mit befreundeten Filmemacher:innen aufwendig und hingebungsvoll verantwortet.

Unsere vier Programme umspannenden Werkschau, die in Zusammenarbeit mit Robert Beavers und dem spanischen Filmkurator Francisco Algarín Navarro zusammengestellt wurde, gibt Einblicke in ein Werk, das seit langer Zeit nicht in Deutschland zu sehen war. Mit Genius, der in seiner ENIAIOS-Bearbeitung zu sehen sein werden, freuen wir uns zudem einen seltenen Einblick in das Spätwerk von Markopoulos fernab des arkadischen Feldes geben zu dürfen. Für die Zusage und das Vertrauen danken wir insbesondere Robert Beavers und dem Temenos Archiv, das die Kopien bereitstellt, sowie Francisco Algarín Navarro für die produktive Kooperation.

fr 06/09 14:00 | a solemn pause – die filme von gregory j. markopoulos pt. 1: frühe filme / twice a man (screening in der pupille)

Dieses erste Programm stellt eine Auswahl früher Filme zusammen, die einerseits, in einem lebenskontextuellen Sinne, den Übergang Markopoulos‘ von seiner Heimat Toledo, Ohio, und Studienort Kalifornien nach New York markieren und andererseits, auf je eigene Weise, das unbewusste Drängen homoerotischen Begehrens im Konflikt mit gewaltvollen, repressiven Vorstellungen von Geschlecht und Sexualität filmisch zum Ausdruck bringen. In Flowers of Asphalt, das Aufnahmen des von Markopoulos vernichteten früheren Films Jackdaw und Christmas U.S.A. enthält und in dem seine Geschwister und Eltern zu sehen sind, bündelt sich um eine allegorische Annäherung (s)eines Coming-outs. In dem zwei Jahre später entstandenen, auf 8mm gedrehten Film Eldora hingegen steht eine weibliche Jugendliche im Fokus, die in der trostlosen Einöde Ohios auf einen Jungen trifft. Traumartig, mit „zögernder und quälend langsamer Bewegung“ (Markopoulos), wird lose eine ambivalente, sumpfig-getrübte Liebesbegegnung angedeutet. Swain, in dem Markopoulos die Hauptrolle übernimmt, ist eine Auseinandersetzung mit Nathaniel Hawthornes Fanshawe, insbesondere mit der Figur des autarken und unabhängigen Fremden, eine “durch Bilder und visuelle Symbole übermittelte, sanfte Beschwörung einer unterbewussten Ablehnung gesellschaftlich erwarteter, männlicher Stereotype. Diese Ablehnung nimmt die Form einer Flucht an – eine fantastische Flucht vor dem, was visuell als grobe, abstoßende Sexualität wahrgenommen wird, in die reine Klarheit künstlerischen Schaffens, Natur und der unangetasteten individuellen Persönlichkeit“ (Donald Weinstein). Twice a Man von 1963 schließlich bildet in vielerlei Hinsicht einen Wendepunkt in Markopoulos‘ Schaffen. In New York gedreht, handelt es sich um eine lose Adaption der Hippolyt-Legende und deutet bereits, durch die verdichtete Konzentration auf blitzartig auftauchende Einzelkader, die Markopoulos auch als „Filmphrasen“ oder „Gedankenbilder“ bezeichnet und mit dem Joyce’schen Verfahren des stream of consciousness in Verbindung bringt, seine spätere Vision des „Film als Film“ an.

Mit Dank an Robert Beavers und den Temenos Verein. Die Kopien werden vom Temenos Archiv zur Verfügung gestellt.

Flowers of Asphalt

R: Gregory Markopoulos, 16mm, s&w, ohne ton, 7 min, 1951

Eldora

R: Gregory Markopoulos, 16mm, farbe, ohne ton, 11 min, 1953

Swain

R: Gregory Markopoulos, 16mm, farbe, ton, 24 min, 1950

Twice A Man

R: Gregory Markopoulos, 16mm, farbe, ton, 49 min, 1963

Gregory Markopoulos - Swain (1950)
Gregory Markopoulos - Swain (1950)
Gregory Markopoulos - Twice A Man (1963)
Gregory Markopoulos - Twice A Man (1963)
Gregory Markopoulos - Twice A Man (1963)
Gregory Markopoulos - Twice A Man (1963)

fr 06/09 20:30 | a solemn pause – die filme von gregory j. markopoulos pt. 2: späte 1960er / himself as herself (screening im dff)

Film als Mimesis des menschlichen Geistes: Die Flut von (Einzel-)Bildern entspricht den Gedanken und Gefühlen der Figur in Markopoulos‘ Arbeiten, die von einem Mythos oder Roman ausgehen – und denen des Filmemachers selbst in Arbeiten, die Menschen sowie Orte porträtieren. Himself as Herself verdichtet Balzacs Séraphîta zu einem einzigen Körper, Seraphita/Seraphitus, weiblich/männlich, ein Hermaphrodit, dessen doppelter Zustand in seinem engelhaften und ekstatischen Aufstieg in den Swedenborgschen Himmel aufgelöst wird. Im Film wird eine Reise vom Unbewussten zum Bewussten und von der Wissenschaft zur Religion formuliert. Die norwegischen Fjorde verwandeln sich in dreizehn Szenen bzw. Orte: Villen und Gärten in Boston, die Stadt als mentale Objektivierung. Markopoulos verbindet in dieser Geschichte von erotisch-identitärer Selbstverleugnung und introspektiver Assimilation Trance mit Mythopoesie. Er kontrastiert körperliche Unbewegtheit mit dem Wechsel der Kostüme (schwarzer Smoking oder blauer Sari) und der farbigen, sich verwandelnden Sinnlichkeit hieroglyphischer Objekte (ein Fächer, ein Ring, ein Brief, eine Haarnadel, einbalsamierte Vögel und ein lebender Papagei). Angesichts der gestischen Mehrdeutigkeiten (eine unsichtbare Umarmung, ein offenes Herz, unbekannte Hände und Lippen, die sich im Schlaf streicheln und küssen) lockert unsere psychophysiologische Wahrnehmung der Montage Erinnerungen, Verflechtungen und Erwartungen, die typisch für ein duales Bewusstsein voller sich aufdrängender Gedanken und obsessiver Widersprüche sind. Die chromatische Orchestrierung konvergiert auch in Bliss (blau-weiß und braun) und Ming Green (rot-orange und tannengrün) mit einer synkopierten Metrik. Durch den Schnitt in der Kamera kristallisiert sich die Zeit in den Überblendungen und Überlagerungen rund um Türschwellen, Chiaroscuros und Fresken einer Kirche auf Hydra (Bliss) und der Wohnung des Filmemachers in Greenwich Village, die sich mit jedem Beat-Impuls in ein Memento, eine Rêverie, einen inneren Garten (Ming Green) verwandelt. Die Objekte (Vorhänge, Bücherregal, Stuhl, Blume, Familienfotos) hallen wie in der Montage von Through a Lens Brightly: Mark Turbyfill nach, einem mosaikhaften Porträt des Tänzers, Dichters und Malers durch Leinwand, Fotos, Zeitschriften und Ballettprogramme, ein kaleidoskopisch neu zusammengesetztes Leben.

( Francisco Algarín Navarro )


Mit Dank an Robert Beavers und den Temenos Verein. Die Kopien werden vom Temenos Archive zur Verfügung gestellt.

Through A Lens Brightly: Mark Turbyfill

R: Gregory Markopoulos, 16mm, farbe, ton, 15 min, 1967

Bliss

R: Gregory Markopoulos, 16mm, farbe, ton, 6 min, 1967

Ming Green

R: Gregory Markopoulos, 16mm, farbe, ton, 7 min, 1966

Himself As Herself

R: Gregory Markopoulos, 16mm, farbe, ton, 60 min, 1967

Gregory Markopoulos - 'Through A Lens Brightly: Mark Turbyfill' (1967)
Gregory Markopoulos - 'Through A Lens Brightly: Mark Turbyfill' (1967)
Gregory Markopoulos -  Bliss (1967)
Gregory Markopoulos - Bliss (1967)
Gregory Markopoulos - Ming Green (1966)
Gregory Markopoulos - Ming Green (1966)

sa 07/09 11:00 | a solemn pause – die filme von gregory j. markopoulos pt. 3: galaxie (screening im dff)

Ein Bruchteil der Zeit enthält Billionen eingesperrter Bilder, schrieb Markopoulos. Die 33 Porträts von Schriftsteller:innen, Maler:innen und Filmemacher:innen, aus denen sich Galaxie zusammensetzt, sind gleichsam eine Beschwörung der Vergangenheit und einer möglichen Zukunft. Am Ende jeder dreiminütigen Filmrolle schließt der Filmemacher den Verschluss, spult zurück und beginnt mit einer neuen Komposition, wobei er einige seiner Porträtrollen bis zu zehn Mal mit Überblendungen, Schwarzfragmenten und Mehrfachbelichtungen bearbeitet. Einem Bildhauer gleich enthüllt jeder Meißelschlag des Filmemachers dabei eine neue Zeitschicht in der Kombination von Frontal-, Profil- oder Schrägansichten. Indem er in seinen Studien von Köpfen, Schultern und Händen die körperlichen oder persönlichen Attribute seiner Modelle herausarbeitet, bewegt sich Markopoulos vom Gruppenporträt einer intellektuellen Gemeinschaft in Greenwich Village hin zur kaleidoskopischen Skulptur und künstlerischen Realität der dargestellten Personen. Da die Struktur der Porträts der Reihenfolge ihrer Entstehung und Aufnahme entspricht, steigt die formale Komplexität im Laufe des Films. Die geforderte statische Begrenzung der Körperhaltung, der Mimik und der Mikrogesten des Gesichts (Augen, Nase, Ohren, Lippen) sowie die Beteiligung des Betrachters an der Fixierung durch die Kamera werden durchbrochen von den ernsten, schweigsamen, steinernen Gesichtern, die mit jeder neuen Belichtung zu einem sich überlagernden Brei anwachsen. Die Wahl des Dekors (Lampen und Schreibtische, indische Wandteppiche oder Zebrateppiche) sowie die Auswahl des persönlichen Gegenstandes, den der/die Geehrte meist in der letzten Aufnahmeschicht einfügt (Fotos, Briefe, Gemälde, Spielzeug, Masken, Kruzifixe, Ringe), offenbaren dabei einen Zusammenhang zur porträtierten Person. In den letzten Momenten jeder dreiminütigen Aufnahme hören wir das metallische Klopfen einer Hindu-Glocke, das sich mit jedem neuen Porträt bis zum dreißigsten steigert. Jede dieser Miniaturen kündigt so ihr qualvolles Verschwinden selbst an, bis sie mit Schwarzbildern in einer endgültigen Verdunkelung ausgelöscht werden.

( Francisco Algarín Navarro )


Einführung von Francisco Algarín Navarro. Mit Dank an Robert Beavers und den Temenos Verein. Die Kopien werden vom Temenos Archive zur Verfügung gestellt.

Galaxie

R: Gregory Markopoulos, 16mm, farbe, ton, 83 min, 1966

Gregory Markopoulos - Galaxie (1966)
Gregory Markopoulos - Galaxie (1966)
Gregory Markopoulos - Galaxie (1966)
Gregory Markopoulos - Galaxie (1966)
Gregory Markopoulos - Galaxie (1966)
Gregory Markopoulos - Galaxie (1966)

so 08/09 12:00 | a solemn pause – die filme von gregory j. markopoulos pt. 4: eniaios (screening im dff)

Zwischen 1986 und 1990 hat Markopoulos etwa 80 seiner Filme zu einem 22-teiligen Zyklus von rund 80 Stunden umgeschnitten und neu bearbeitet. ENIAIOS, ein Film mit äskulapischen und wagnerischen Zügen, war für eine Pilgerreise zu einer spezifischen Spielstätte namens Temenos in Arkadien bestimmt. An drei aufeinander folgenden Tagen im Jahr 1970 filmte er drei autonome Porträts, wobei er auf Überblendungen verzichtete und natürliches und künstliches Licht mischte: den Maler und Fotografen David Hockney in seinem Atelier in London, den Schriftsteller, Sammler und Hauptförderer des Kubismus Daniel-Henry Kahnweiler in seinem Büro und die Malerin und Schriftstellerin Leonor Fini in ihrem Haus, beide in Paris. Im Schnitt entdeckte er, dass sein Film lose von der Faust-Legende inspiriert war: Menschen und Umgebung wurden zu Figuren und Kulissen, Momente zu Szenen, und die kleinsten Gesten zu Offenbarungen. Markopoulos bewahrte Fragmente von Genius (den er nie fertiggestellt hatte) in Eniaios auf, indem er Auf- und Abblenden sowie Positiv- oder Negativfilm je nach Ort und Rhythmus verschwinden ließ und durch Phrasierungen von Schwarz- oder Klarfilm ersetzte. Im dritten Zyklus von ENIAIOS, der den Titel Shapes of the Mouth trägt, steht zudem Barbara Hepworth einem ihrer Bilder in der Tate Gallery gegenüber und erweitert so die lebenden Skulpturen von Gilbert und George, mit denen dieser Zyklus beginnt. Die häufige Verwendung von Einzelbildern, eine verdichtete Matrix aus kleinsten Augenblicken und Gesten an der Grenze des Sichtbaren, denen die Illusion der Bewegung genommen wurde, bleiben wie eine Handvoll Samen verstreut übrig – im Zusammen- und Gegenspiel mit anderen Bildern und Schwarzfilm. All die verschiedenen harmonischen Einheiten dieser imaginativen Musik wechseln in den kumulativen, metrisch-rhythmischen Prinzipien der Montage zwischen Persistenz und Unterbrechung, Beschleunigung und Langsamkeit. In den Intervallen zeigt sich das Nachbild oder “after-image”, welches durch die Intensität der Farbe sowie durch die quasi-halluzinierte Vorwegnahme und Erinnerung zwischen telekinetischem Sehen und eidetischem Erinnern bestimmt wird. Verbindungen – Figurationen – Illusionen neuer Pinselstriche – Bewegungslinien – Wiederauferstehen der Glieder des Dargestellten.

( Francisco Algarín Navarro )


Eingeführt von Francisco Algarín Navarro. Mit Dank an Robert Beavers und den Temenos Verein. Die Kopien werden vom Temenos Archive zur Verfügung gestellt.

Gilbert and George (ENIAIOS III)

R: Gregroy J. Markopoulos, 16mm, farbe, ohne ton, 8 min, 1970-2008

Genius (ENIAIOS III)

R: Gregory J. Markopoulos, 16 mm, farbe, ohne ton, 60 min, 1970-2008

Gregory Markopoulos - Genius (ENIAIOS III - Reel 2,3,4, 1970-2008)
Gregory Markopoulos - Genius (ENIAIOS III - Reel 2,3,4, 1970-2008)
Gregory Markopoulos - Genius (ENIAIOS III - Reel 2,3,4, 1970-2008)
Gregory Markopoulos - Genius (ENIAIOS III - Reel 2,3,4, 1970-2008)