caméra-pinceau – marcelle thirache

“Jeder Film ist das Ergebnis einer Begegnung. Ich spaziere durch die Welt und bleibe stehen, fasziniert von einer Form, einem Material, einem Lichtspiel, das in meiner inneren Welt wiederhallt. Nein, ich habe meine Kamera nicht ständig bei mir, es ist wie bei Liebesgeschichten: Ich komme nach Hause, träume, denke die Bilder und lege dann los. (Ich filme), um meiner Leidenschaft Ausdruck zu verleihen.” (Marcelle Thirache)

Marcelle Thirache gehört eher zur poststrukturellen Generation des Experimentalfilms: Diese Filmemacher:innen entfernten sich von den wahrnehmungsorientierten Erkundungen der Mechanismen des kinematografischen Apparats, die einen Großteil des Filmschaffens der 1960er und 70er Jahre kennzeichneten, und nutzten die Freiheit der experimentellen Form, wie ein Maler seinen Pinsel, um radikal persönliche Werke zu schaffen, die von der sehr persönlichen Begegnung ihrer Körper und Augen mit der Welt zeugen. Thirache fand ihren Weg zum Film durch einen Workshop von Maria Klonaris und Katerina Thomadaki, den Filmemacherinnen und Denkerinnen der einflussreichen cinéma corporel Bewegung. Von ihnen übernimmt Thirache die Vorliebe für die leichte Super 8-Kamera und den Verzicht auf eine Tonspur: In ihrem Werk sind es die Bilder, die durch die Gesten der Filmemacherin zum Sprechen gebracht werden. Die thematische Verbundenheit zum cinéma corporel ist in frühen Werken wie À la recherche des amazones, Narcisse et Lilas oder S……elle deutlich zu spüren, die den weiblichen Körper als Landschaft des lesbischen Begehrens und Mythos erkunden. Seit 1987 sind ihre Filme im Katalog von Light Cone vertreten. In den 1990er Jahren entwickelte sich Thiraches Werk in verschiedene Richtungen, wobei sie eines der zentralen Merkmale ihrer Praxis stets beibehielt: den Akt des Filmens als eine Form des Tanzes der Filmemacherin mit der Kamera. In diesem Jahrzehnt fügte sie ihrer Filmsprache ein weiteres Element hinzu, das in ihrer Arbeit der 2000er und 2010er Jahren von noch größerer Bedeutung sein sollte: die Malerei auf den Filmstreifen, die ihr einen noch direkteren Ausdruck ihrer Subjektivität ermöglichte. Vielleicht ist es diese Weigerung, sich einer Bewegung oder Schule anzuschließen oder sich auf einen beständigen Stil festzulegen, die Thiraches Werk so lange nahezu unsichtbar gemacht hat: Unsere monographische Werkschau wird die erste ihrer Art sein. Einen besonderen Dank möchten wir Light Cone aussprechen, die die Kopien für diesen Schwerpunkt zur Verfügung stellen, insbesondere Miguel Armas, der in die Programme einführen wird.

do 05/09 19:00 | caméra-pinceau – marcelle thirache pt. 1: lesbisches begehren (screening in der pupille)

Das erste Programm versammelt eine Reihe von Filmen aus den 1980er und frühen 1990er Jahren, die beispielhaft für Wahrnehmungsprozesse in Thiraches Werk sind: Indem sie ihr Kino vom männlichen Blick befreit, wird ihre Kamera zu einem Forschungsinstrument, das in die Geschichte (À la recherche des amazones) und den Mythos (Narcisse et Lilas) eintaucht, um die Art und Weise zu erkunden, wie die patriarchalische Ordnung die Normen von Weiblichkeit und Schönheit diktiert hat. Gleichzeitig wird die Kamera aber auch zu einem Werkzeug der Befreiung, wenn Thirache ihren Blick auf real existierende weibliche Körper richtet, ihren eigenen und den anderer, und sie in einem Akt der Selbstliebe und lesbischer Sinnlichkeit umarmt. Die zweite Dimension dieser Beschäftigung mit Fragen der Wahrnehmung betrifft das, was Thirache "Kontemplation" nennt: “die Gewohnheit des kleinen Mädchens, den Raum zu betrachten, wenn die Erwachsenen uns keinen Platz lassen.” In diesen Filmen (Costa de Lavos, Clair de pluie) betrachtet Thirache geduldig das Licht, die Art und Weise, wie es auf Spiegeln, Oberflächen und dem Objektiv der Kamera reflektiert wird, wie es Formen schafft, wenn es auf Gegenstände und Körper trifft.

Mit Dank an Light Cone (Paris, Miguel Armas) für die Bereitstellung der Filmkopien.

Mouvance exquise ou voyage intérieur

R: Marcelle Thirache, super 8, farbe, ohne ton, 6 min, 1986

S……elle

R: Marcelle Thirache, super 8, farbe, ohne ton, 4 min, 1990

À la recherche des amazones

R: Marcelle Thirache, super 8, farbe, ohne ton, 6 min, 1986

Sappho - Poèmes et Fragments

R: Marcelle Thirache, super 8, farbe, ohne ton, 15 min, 1992

Narcisse et Lilas

R: Marcelle Thirache, super 8, farbe, ohne ton, 7 min, 1988

Air qui erre

R: Marcelle Thirache, super 8, farbe, ohne ton, 7 min, 1989

Costa de Lavos

R: Marcelle Thirache, 16mm, farbe, ohne ton, 4 min, 1991

Aréna

R: Marcelle Thirache, super 8, farbe, ohne ton, 4 min, 1995

Clair de pluie

R: Marcelle Thirache, 16mm, farbe, ohne ton, 3 min, 1986

Éclats

R: Marcelle Thirache, super 8, farbe, s&w, ohne ton, 14 min, 1990

Marcelle Thirache - S……elle (1990)
Marcelle Thirache - S……elle (1990)
Marcelle Thirache - À la recherche des amazones (1986)
Marcelle Thirache - À la recherche des amazones (1986)
Marcelle Thirache - Costa de Lavos (1991)
Marcelle Thirache - Costa de Lavos (1991)

so 08/09 18:30 | caméra-pinceau – marcelle thirache pt. 2: filmemachen als (innere) reise (screening in der pupille)

Dieses zweite Programm setzt eines der Hauptthemen fort, das sich wie ein roter Faden durch Thiraches Werk zieht: das Filmemachen als Reise, als Innen- oder Außenansicht. So beginnen wir mit Lande, einem kinematografischen Spaziergang durch eine portugiesische Landschaft, bei dem sich die Kamera frei durch die Natur bewegt und manchmal anhält, um Detailbilder zu erhaschen. Danach folgen zwei Reisefilme: Zunächst der einzige Film in diesem Programm, der nicht von Marcelle Thirache gedreht wurde: Mer von Martine Rousset. Rousset gehört zur gleichen Generation wie Thirache und ihre Werke sind von einem ähnlichen Geist getragen. Der Einbezug ihres Films in diese Werkschau, der mit Thiraches Hambourg in Dialog tritt, ist eine Hommage an die gemeinsamen Affinitäten der beiden Filmemacherinnen und ihre Freundschaft, die sie verbindet. Mit Étude pour arbre seul, Monet is Monet und Impressions tritt ein weiteres wichtiges Thema in Thiraches Filmschaffen hervor: die Frage der Ökologie, wobei das Kino zu einem Instrument der Sorge um die natürliche Welt wird. Big Band schließlich ist ein beeindruckendes Beispiel für Thiraches Praxis, mit Farbe direkt auf den Filmstreifen zu malen.

Mit Dank an Light Cone (Paris, Miguel Armas) für die Bereitstellung der Filmkopien.

Lande

R: Marcelle Thirache, 16mm, farbe, ohne ton, 6 min, 1991

Mer

R: Martine Rousset, 16mm, farbe, ton, 20 min, 2003

Hambourg

R: Marcelle Thirache, super 8, farbe, ohne ton, 6 min, 1990

Étude pour arbre seul

R: Marcelle Thirache, 16mm, farbe, ohne ton, 6 min, 1999

Monet is Monet

R: Marcelle Thirache, super 8, farbe, ohne ton, 4 min, 1986

Palme d'or

R: Marcelle Thirache, 16mm, farbe, ohne ton, 4 min, 1993

Impressions

R: Marcelle Thirache, super 8, farbe, ohne ton, 6 min, 1995

Big Band

R: Marcelle Thirache, 16mm, farbe, ohne ton, 3 min, 2001

Marcelle Thirache - Lande (1991)
Marcelle Thirache - Lande (1991)
Martine Rousset - Mer (2003)
Martine Rousset - Mer (2003)
Marcelle Thirache - Big Band (2001)
Marcelle Thirache - Big Band (2001)