im moment. ute aurands filme
In Ute Aurands Filmen steckt eine Freude und ein lebendiges Pulsieren, das sie so überwältigend macht. Diese Lebendigkeit ist keineswegs naiv. Vielmehr ist sie Ausdruck einer instinktiven Weisheit, die Aurand dabei hilft, das Leben mit einem scharfsinnigen Bewusstsein für den Wert eines jeden Augenblicks zu betrachten (und zu filmen), mittels einer Präsenz, die im Hier und Jetzt verwurzelt ist. Jede Bewegung ihrer rastlosen Kamera, die raschen Übergänge und die ruhigen Augenblicke – sie alle atmen im Einklang mit den Motiven, den Menschen und den Gegenständen, die wir dann auf der Leinwand sehen.
Ihre Karriere als Filmemacherin begann Ute Aurand 1980 mit ihrem Film Schweigend ins Gespräch vertieft. Sie hatte 1979 ihr Studium an der dffb aufgenommen, dasselbe Jahr in dem sie auch auf die Tagebuchfilme von Jonas Mekas gestoßen ist. In den 1980ern drehte sie viele ihrer Filme gemeinsam mit ihrer Kommilitonin Ulrike Pfeiffer. Aus dieser Zusammenarbeit entstanden Filme wie Umweg, ein Zugfilm, der sich mit der Aufzeichnung einer Erfahrung befasst – eine Tournee durch Deutschland mit dem Programm „Neue Filme von Frauen aus Berlin“ (mit Filmen von beiden), die wiederum einen anderen Arbeitsbereich von Aurand berührte: das Zusammenstellen von Filmprogrammen. Zusammen mit Pfeiffer schuf sie auch Filme wie Okiana, der an einen von Aurands Bezugspunkten vor dem Studium anknüpft: Ulrike Ottinger. Der Film entstand im Rahmen eines Seminars von Elfi Mikesch an der Filmhochschule, wo unter anderem Filme von Künstler*innen wie Anger, Genet und Pasolini geschaut wurden. OH! die vier Jahreszeiten (1988), auch gemeinsam mit Pfeiffer entstanden und inspiriert von Mekas‘ He Stands in a Desert Counting the Seconds of His Life (1986), scheint mit seinen improvisierten Szenen in verschiedenen Städten und Jahreszeiten und seinen exzentrischen Kostümen eine Mischung dieser beiden Ansätze zu sein. Ab den Neunzigern begann der Tagebuchfilm in Aurands Filmografie an Bedeutung zu gewinnen und wurde allmählich zu ihrem Markenzeichen. „Reisefilme“, Porträts, Szenen des häuslichen Lebens, Feierlichkeiten und Studien zu stärker verdichteten Motiven (oft aus der Natur oder Architektur) wechselten sich mit animierten Experimenten wie der Reihe Fadenspiele ab, die sie in Zusammenarbeit mit ihrer Schwester Detel realisierte. Aurand würdigt und ehrt in ihrem Filmemachen zwei Schlüsselfiguren, die wir als ihre Gleichgesinnten verstehen können: Margaret Tait und Marie Menken. Man könnte Aurands Werk als eine autobiografische Schilderung flüchtiger Augenblicke, Begegnungen, Leidenschaften und Freundschaften verstehen, die allmählich über die Jahre auch zu einer emotionalen Geschichte über die Lebenszyklen geworden ist.
Während dieser Zeit hat Aurand an einer Art eigener „Sprache“ gearbeitet, die größtenteils mit ihrem Einsatz der Kamera als eine Art musikalisches Instrument zu tun hat: mit Timing, synkopischen Übergängen, abrupten Änderungen der Belichtungszeiten, Überblendungen von Weiß und bewusster Unschärfe. In kurzen Einstellungen, die dem Tempo eines neugierigen Blicks folgen, „zerlegt“ der Kameraschnitt bestimmte Situationen, um dann einen Moment innezuhalten und zu pochen; Instinkt trifft hier auf einen geschulten Blick, der ganz spontan komplexe und aufwändige Montagen entwerfen kann. Diese Kameraschnittsegmente (die sie selbst „kaleidoskopisch“ nennt) werden dann zu größeren Strukturen rund um ein Thema verwoben, wobei der Ton oft eine Rolle als Verknüpfungselement spielt. Hierbei handelt es sich fast immer um Aufnahmen, die parallel zu den Bildern entstehen und so zufällig entdeckte Atmosphären, Melodien oder die Wärme einer menschlichen Stimme einfangen. Auch das Abwechseln von Ton und Stille ist ein charakteristisches Merkmal ihres Filmemachens.
Die Wirklichkeit erscheint vor Aurands Augen und lädt sie zum Spielen ein – und sie lässt sich auf dieses Spiel ein: mit den Schatten und Spiegelungen, mit den Farben der Welt, mit den Möglichkeiten der Kadrage, mit den verwobenen Mustern all der Dinge, denen sie auf ihrem Weg begegnet. Ihre Art, Kino zu verstehen, hat auch viel mit Dichtung zu tun. In dieser Hinsicht ist es aufschlussreich, zu hören, was Aurand in einer Unterhaltung mit Robert Beavers über ihren Film Terzen zum Haiku sagt: „Als ich Haikus zum ersten Mal gelesen habe, war ich beeindruckt von ihrer visuellen Kraft, von den verdichteten Bildern, von der Art, wie das Gesagte und das Ungesagte verbunden waren und wie wichtig die Lücke zwischen Beidem ist. Das ist wie der Sprung von einem Stein zum anderen: Das Wasser dazwischen ist sehr wichtig, aber die Steine auch. Bei meiner Art, Filme zu machen, sind die Bilder die Steine und das, was man nicht sehen kann, das Unsichtbare, sind die Lücken dazwischen. Wenn persönliche Dinge durch diese Unsichtbarkeit ausgedrückt werden, das ist dann das, was ich meine, wenn ich von etwas Poetischem spreche.“
Aurand hat im Sammeln von Augenblicken mit ihrer Kamera eine Filmografie von rund fünfzig Filmen entworfen, die sich zwischen einer kurzen Laufzeit von wenigen Minuten und Spielfilmlänge bewegen. Jeder Film baut seine eigene Intensität auf, manche fühlen sich an wie eine kleine Dosis Freude, andere wie die verdichtete Schönheit eines ganzen Lebens.
Man kann sagen, dass sich Aurands Kino den großen Themen des Daseins über die kleinen Themen nähert. In der Tat sind es die scheinbar unbedeutenden Dinge, die dem Leben seine besondere Note verleihen. Aurand hat es mit ihrer herausragenden filmischen Intelligenz und einzigartigen Sensibilität geschafft, die Noten ihres Lebens festzuhalten, um sie mit der Welt zu teilen – und das sehr ausdrucksstark.
( Elena Duque )
do 04/09 21:00 | im moment. ute aurands filme pt. 1 (screening in der pupille)
Ist vielleicht der ehrlichste Film derjenige, der in gewisser Weise die Person ist, die ihn gemacht hat? Man könnte dann Filme als Selbstporträts der Person betrachten, die sie macht, da sie die Weise sind, wie Filmemacher*innen sich selbst in die Welt projizieren. Es scheint, dass sich das in diesem Programm zeigt, das als globales Selbstporträt von Aurand als Filmemacherin verstanden werden kann.
Auf direkte und eindeutige Weise wird diesen in ihrem ersten Film _Schweigend ins Gespräch vertief_t evident, und auf etwas verdecktere Weise in Terzen, bei dem sich Aurands Leben mit Fragmenten ihrer Filme vermischt, ohne dass dabei zwischen den beiden Kategorien unterschieden wird. Terzen kann in gewisser Weise als ein lebendiges, aber auch künstlerisches Kompendium betrachtet werden, in dem von Zeit zu Zeit alternative Versionen oder Fragmente anderer Filme auftauchen.
So erklärt Ute Aurand selbst, woher Terzen kommt: „Von 1992-98 habe ich kontinuierlich gefilmt: auf Reisen, in der Wohnung, im Winter, Freunde, meine Nichten, Tanja und Xenia in der Ukraine, blühende Kastanienbäume, Paris, New York, die Orkney Inseln. Diese kurzen Stücke korrespondieren mit verschiedenen Stimmungen und Klängen.“
Es gibt Kinderspiele, alltägliche und festliche Momente in Terzen, wo sich auch Platz für direkte Animation in Form von Kratzern auf Zelluloid findet. Es ist das reine Vergnügen, konzentriert in einer Sammlung einfacher Freuden, die uns Aurand so präsentiert, als wäre es möglich, die heiteren Momente unserer Leben direkt aus unserer fragmentierten, sprunghaften und diffusen Erinnerung heraus zu projizieren. Und mittendrin gibt es auch noch die Filme. Wir sehen ihre Titel, den Keim mancher, Teile des Schaffensprozesses anderer und sogar, wie im Fall von Zu Hause (ein Selbstporträt von Aurand, die ihren eigenen Schatten beim Filmen filmt), mit einer Variation die ganze Einheit dessen, was ein eigenständiger Film wäre.
Es gibt eine Spannung in Schweigend ins Gespräch vertieft, die sich bei Terzen bereits verflüchtigt hat. 1998 hatte Aurand verstanden (und es auch schon seit einigen Jahren umgesetzt), dass ihre Berufung als Filmemacherin darin liegt, sich in die Welt zu stürzen, ohne zu unterscheiden, was groß und was klein ist. Ein Schatten in ihrer Wohnung an einem beliebigen Tag ist nicht weniger eindrucksvoll als ein monumentales Bild in Paris. Ihre Identität besteht darin, dass sie sich durch das, was sie betrachtet, selbst in die Welt einbringt. Deshalb kann Terzen als ein totales Selbstporträt gesehen werden, während Schweigend ins Gespräch vertieft ein Selbstporträt im Konflikt ist, den Aurand über ein Spiel mit Spiegeln und Inszenierungen austrägt. Ihre Identität ist hier aufgesplittert in einen introspektiven Teil und einen Teil, in dem sie selbst auf die Welt projiziert und in ihr reflektiert wird. Sie und ihr Double tanzen in einer Choreografie unter Wasser, zu einer Zeit, in der die Distanz zwischen Realität und Repräsentation, oder zwischen Leben und Kino, noch immer Raum einnimmt. Daher war es notwendig eine Art des Filmemachens zu entwickeln, die diese Barriere durchbricht. Diese Art des Filmemachens besteht darin, dass das Leben und die Filme ein und dasselbe sind.
( Elena Duque )
In Anwesenheit von Ute Aurand.
Schweigend ins Gespräch vertieft
R: Ute Aurand, 16mm, s&w u. farbe, ton, 8 min, 1980
Terzen
R: Ute Aurand, 16mm, farbe, ton, 50 min, 1998
fr 05/09 20:30 | im moment. ute aurands filme pt. 2 (screening im dff)
Reiseberichte dienen Reisenden seit jeher als Mittel, um das, was sie in fernen Ländern gesehen haben, zurück nach Hause bringen. Jede:r Reisende sieht unterschiedlich: am selben Ort können zwei Menschen grundverschiedene Dinge ins Auge stechen, die sie auch noch auf ihre eigene Weise aufzeichnen werden. Wenn es etwas gibt, das Menschen dazu bewegt, ihre Notizbücher zu füllen, dann ist es die Entdeckung. Das Verlangen, von dem zu erzählen, was ihnen neu ist, was ihren alltäglichen Erfahrungen fremd ist. Die Autorin eines Reiseberichts kommt dort, wo sie hingeht, mit ihrem Wissen und ihren Gefühlen an und versucht, mit diesen Werkzeugen zu verstehen, was sie sieht. Es gibt ein (keineswegs zeitgenössisches) Bewusstsein darüber, dass man alles wertschätzen sollte, weil der Anlass einzigartig und flüchtig ist und weil es keine anderen Aufzeichnungen dieser Erfahrung gibt. Denken wir zum Beispiel daran, wie Humboldt den amerikanischen Kontinent beschreibt. In diesem Sinne scheint Ute Aurand mit ihrer Kamera zu reisen. In den Filmen dieses Programms, carnets de voyage, kann man die Neugier und Offenheit ihres Blicks erkennen, der eine neue Welt zu entdecken scheint.
In diesem Programm werden wir Reisen auf andere Kontinente sehen. To Brasil zeigt uns das, was auf einer Reise nach São Paulo und Rio de Janeiro gesammelt wurde: Bilder und gelegentliche Geräusche zwischen Stillen (Aurands üblicher modus operandi, der uns hin und wieder Aufnahmen hören lässt, die die Bilder unterstreichen oder ihnen neue Dimensionen verleihen). Die üppige Vegetation, aber auch Dinge aus Menschenhand. Der Strand, die Straßen. Freund*innen, aber auch die Menschen, die die Kamera nicht bemerken. Schwarz-Weiß und Farbe wechseln sich ab: Nach dem Anblick eines monochromen Strands überwältigt die Farbexplosion. Aurand spielt mit Farbfiltern und Überblendungen. Die Rhythmen alternieren, etwa wenn der Rhythmus eines Musters im Wandgitter über den Rhythmus des Händeklatschens der Mädchen gelegt wird. Ihr agiler und aufmerksamer Blick ist in einen tropischen Balsam getaucht.
Sakura, Sakura ist schlicht das Aufeinandertreffen zweier japanischer Gesten, die in ihrer Einfachheit einen müßigen, aber fairen, Vergleich mit der poetischen Form des Haiku zulassen. Sakura ist die Kirschblüte, die das Gedicht wie eine Art Interpunktion auftrennt in das Porträt einer Frau, die schöne handgestickte Bälle anfertigt, und das einer anderen, die sie beobachtet und mit dem Fahrrad flieht.
Obwohl er am anderen Ende der Welt, in diesem Fall Neuengland, entstanden ist, besteht Four Diamonds auch aus spontan aufgenommenen Notizen, die uns auf eindrückliche Weise in einen bestimmten Moment und sein Licht versetzen. Frauen spielen Karten, Vögel am Ufer eines stürmischen Meers zum Rhythmus einer Melodie (gespielt von Etienne Grenier).
Junge Kiefern ist ein Reisebericht über Japan (in mehreren Städten über drei Reisen zu unterschiedlichen Jahreszeiten gefilmt), in dem wir die Übergänge zwischen den Orten mit der Sammlung von Bildern, die die Reise hervorbringt, greifbar spüren können. Menschen, die in ihre tägliche Arbeit vertieft sind, Handlungen mit einem Ziel oder einer Ausführung, die für einen Blick von dieser Seite der Welt faszinierend sind. Früchte, Bäume, Pflanzen, Farben, Texturen. Das Land aber auch die Städte, wo es – auf die ein oder andere Art – auch Platz für Natur gibt.
( Elena Duque )
In Anwesenheit von Ute Aurand.
To Brasil
R: Ute Aurand, 16mm, s&w u. farbe, ton, 18 min, 2023
Sakura, Sakura
R: Ute Aurand, 16mm, farbe, ton, 3 min, 2019
Four Diamonds
R: Ute Aurand, 16mm, farbe, ton, 5 min, 2016
Junge Kiefern
R: Ute Aurand, 16mm, s&w u. farbe, ton, 42 min, 2011